Alle 10 Jahre wird die Volkszählung durchgeführt, bei der neben Fragen nach dem Bildungsgrad, dem Vermögensstand oder den Wohnverhältnissen auch nach der nationalen Zugehörigkeit gefragt wird. Die Organisation der deutschen Volksgruppe appelliert an ihre Mitglieder sowie Menschen, die keinem Verein angehören, ihre Zugehörigkeit offenzulegen.
Die diesjährige Volkszählung in Polen soll von April bis Juni dauern, obwohl wegen der Corona-Pandemie Vertreter des Statistischen Hauptamtes bereits davon sprechen, die Volkszählung zu verlängern, und zwar um drei Monate. Das bedeutet, dass jeder Einwohner Polens genug Zeit haben wird, um selbst das Formular online auszufüllen, wobei diese Form auch besonders beworben wird.
Wer allerdings nicht selbst auf die Fragen antwortet, bekommt einen Anruf von einem Mitarbeiter des Statistischen Hauptamtes und muss sogar mit dessen Besuch rechnen. Ziel ist es, anders als bei der Volkszählung von 2011, als zu statistischen Erhebungen nur ein bestimmter Prozentsatz an Einwohnern Polens erfasst wurde, dass nun alle daran teilnehmen.
Für die nationalen und ethnischen Minderheiten bedeutet dies schon jetzt den Start einer Werbekampagne für die Volkzählung selbst sowie insbesondere für den Teil, in dem Fragen zur Nationalität und der zu Hause gesprochenen Sprache gestellt werden. „Wir müssen uns eben als Vereine und Verbände sowie deren Strukturen gut vorbereiten und uns als Mitglieder Gedanken machen“, appelliert Bernard Gaida, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Gesellschaften in Polen und unterstreicht, dass es bei der Frage nach der Nationalität oft zu Verwirrungen kommt. “Nationalität ist keineswegs mit der Staatsangehörigkeit gleichzusetzen. Das sind zwei verschiedene Dinge! Auch wenn wir polnische Staatsbürger sind, können wir doch einer anderen Nation angehören. Wenn man sich aber keine großen Gedanken darüber macht, kommt es zu Fehlern”, meint Gaida. Dabei sind die Fragen nach der Staatsangehörigkeit, der Nationalität sowie einer anderen Volksgruppe, der man sich zugehörig fühlt, klar voneinander getrennt: Während die Frage nach der Staatsbürgerschaft relativ weit vorne auftaucht, wird die Volkszugehörigkeit erst später abgefragt. Missverständnisse sollte es also keine geben, sofern man die beiden Begriffe auseinanderhält.
Warum ist die Angabe der Nationalität so wichtig?
Für die deutsche Minderheit in Polen sind die Ergebnisse und vor allem die Zahl derjenigen, die die deutsche Nationalität angeben, gleich aus drei Gründen wichtig. Zum einen geht es um einige Rechte, deren mögliche Realisierung in den Gesetzen an die Anzahl der Vertreter einer Minderheit in einer Gemeinde gekoppelt ist. So ist es z. B. mit der 20%-Hürde, die es ermöglicht, einfacher zweisprachige Ortsschilder in einer Gemeinde einzuführen. Wenn nämlich über 20% der Bevölkerung einer Gemeinde zu einer Minderheit gehören, reicht dafür ein Beschluss des Gemeinderates, es bedarf keiner großangelegten Konsultationen. Ob aber in einer Gemeinde mehr als 20% der Bevölkerung einer konkreten Minderheit angehören, geht einzig und allein aus der Volkszählung hervor, andere Erhebungen werden nicht berücksichtigt. “Für uns als Deutsche ist also die Volkszählung wichtig, denn die deutsch-polnischen Ortsschilder sind eine Möglichkeit, unsere Existenz und Identität öffentlich darzustellen. Mit der Zeit sind diese ein Teil der Landschaft geworden und das ist gut so. Die Mehrheitsbevölkerung zeigt zudem damit ihre Toleranz für die Vielfalt der Kulturen und die Mehrsprachigkeit dieser Region”, sagt der VdG-Vorsitzende Gaida.
Zum zweiten es geht nicht nur darum zu sehen, welche Rechte man nun in Anspruch nehmen kann. Die Ergebnisse der Volkszählung sind auch wichtige Indikatoren für die Minderheiten selbst. Bei den letzten beiden Zählungen in den Jahren 2002 und 2011 lagen die Deklarationen der deutschen Nationalität relativ gleich. Vor knapp 20 Jahren gab es etwas mehr als 152.000 Deutsche in Polen, 10 Jahre später waren es etwas mehr als 147.000. “Die Volkszählung ist ein Beleg für die Stärke oder eben Schwäche einer Minderheit, ihre weitere Entwicklung oder ihren Rückgang. In unserem Fall lagen die Zahlen bei den letzten beiden Zählungen relativ nah beieinander, was bedeutet, dass wir als Deutsche in Polen keineswegs kleiner oder schwächer werden”, meint Bernard Gaida.
Gleichzeitig gibt die Diskrepanz in beiden Volkszählungen beim Gebrauch der deutschen Sprache im Alltag zu denken. Während im Jahr 2002 noch 204.573 Personen deklariert haben, dass sie Deutsch in den eigenen vier Wänden gebrauchen - wobei fast 9000 angegeben haben, diese Sprache als die einzige zu nutzen - fiel die Zahl im Jahr 2011 auf unter 100.000 Sprachnutzer. Eine solche Entwicklung ist besorgniserregend, sie zeigt aber auch, dass die Politik des Staates zur Förderung von Minderheitensprachen ungenügend ausfällt (darüber haben wir in der Ausgabe 1500 geschrieben).
Für den VdG-Vorsitzenden spielt aber der dritte Grund für die Volkszählung eine noch wichtigere Rolle – es geht um die persönliche Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln und der Identität. “Niemand von uns denkt jeden Tag daran, wer er ist, welcher Nation er sich zugehörig fühlt und warum es gerade so ist. Die Volkszählung gibt eine gute Möglichkeit, eben in sich zu gehen und über die eigene Herkunft nachzudenken”, meint Bernard Gaida und unterstreicht, dass dies keineswegs einfach ist: “Wir leben ja nicht nur in einer mehrheitlich polnischen Gesellschaft, wir leben in Schlesien, Pommern, Ermland-Masuren auch in einer ganz konkreten Region, sodass auch die regionale Komponente eine Rolle spielt. In Bezug auf die nationale Identität stellt sich eben die Frage, was uns unterscheidet von der Mehrheit im ganzen Land und in der Region. Uns Deutsche unterscheidet eben die Volkszugehörigkeit, die aber gleichzeitig keineswegs von der regionalen Identität wegzudenken ist”.
Und hier erlauben zumindest für die Deutschen in Oberschlesien zwei Fragen in der Volkzählung – die nach der Nationalität und nach einer weiteren nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit – das Deutsche mit der regionalen Identität zu vereinen. Man kann nämlich sowohl die deutsche Nationalität als auch bei der zweiten Frage die Zugehörigkeit zum Schlesiertum deklarieren.
Die Volkszählung beginnt am 1. April, es besteht also noch genügend Zeit, sich mit der eigenen Identität intensiv auseinanderzusetzen und sich auf die Fragen vorzubereiten.
Rudolf Urban