Heute liegt es abseits der touristischen Straßen, obwohl der lokale Hafen im Sommer sehr gut besucht ist. Früher in Ostpreußen war seine Lage wesentlich günstiger und historisch gesehen manchmal sogar zu günstig. Die Rede ist von Schloss Steinort, dem jahrhundertelangen Sitz der Familie von Lehndorff. Seit einiger Zeit wird versucht, das Gebäude aus seinem Schlaf und seinem jetzigen doch ziemlich desolaten Zustand zu reißen. Es sind zwar noch keine 100 Jahre her, dass Schloss Steinort in seinen Schlaf versunken ist, sondern „erst“ 75, dennoch wird es keine einfache Aufgabe, es wieder aufzuwecken. Mit einem einfachen Kuss wie bei Dornröschen wird es nicht funktionieren, wie die Polnisch-Deutsche Stiftung zum Schutz von Kulturdenkmälern und die Lehndorff-Stiftung bereits feststellen konnten, die sich an diese Aufgabe gemacht haben.
Ostpreußische Geschichte in einer Hand Auf der Halbinsel zwischen dem Mauer-, dem Kirsaiten- und dem Dargeimersee gelegen, beherrschen Schloss Steinort und die dazu gehörenden Wirtschaftsgebäude das Land ringsumher. Das Dorf Steinort gehörte ebenso wie die Ländereien zum Familiensitz derer von Lehndorff. Auf dem anderen Ufer des Steinortsees, der den heutigen Hafen beherbergt, liegt das Mausoleum der Familie, das vor kurzem einen neuen Dachstuhl erhalten hat. Der dortige evangelische Friedhof wurde Ende August, Anfang September bei der deutsch-polnischen historisch-konservatorischen Werkstatt „Vergessene Friedhöfe in Masuren – Steinort“ der Stiftung Borussia in Allenstein mit dem Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf inventarisiert.
Das Schloss war seit dem 15. Jahrhundert und bis 1945 der Hauptsitz der von Lehndorffs und das lässt sich auch am Gebäude selber ablesen. „Wenn wir davor stehen, ist der linke Trakt aus dem 17. Jahrhundert, der mittlere aus dem 18., und der rechte aus dem 19.“, erklärt der Vorsitzende der Polnisch-Deutschen Stiftung zum Schutz von Kulturdenkmälern Wojciech Wrzecionkowski, der gleichzeitig Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Allenstein ist. Im Gebäude befinden sich für Kunsthistoriker interessante und wertvolle polychrome Deckenmalereien, die zu einem großen Teil vor dem endgültigen Verfall gerettet werden konnten und sich derzeit in Dresden zur Konservierung befinden.
Neue Nutzung Von der eigentlichen Einrichtung ist so gut wie nichts mehr vor Ort erhalten, aus dem geretteten Familienbesitz könnte man aber wieder ein Museum oder eine Gedenkstube gestaltet. Diese Präsentation soll das Leben des ostpreußischen Adels erfahrbar machen und ist ein Teil des Nutzungskonzepts, das nach und nach Schloss Steinort wieder lebendig machen soll. Das Gebäude bietet bereits jetzt den Rahmen für das Steinort-Palast-Festival, dessen vierte Ausgabe in diesem Jahr über die Bühne ging. Vor einem Jahr, im Sommer 2019, wurde dabei das Theaterstück „Sztynort 1935“ von Jakub Maiński aus Warschau dort uraufgeführt. Er lässt bei einem fiktiven Mittagessen eine Familie mit pruzzischen, deutschen und jüdischen Wurzeln über die Nürnberger Rassengesetze diskutieren, die kurz danach in Kraft traten. Dieser lebendige Einblick in das Denken und Handeln der Aristokratie wurde damals auch als Film in Virtual-Reality-Technik aufgenommen. Der Film wurde in diesem Jahr unter anderem auf Schloss Steinort beim aktuellen Palast-Festival gezeigt. Von realen und virtuellen Fenstern ...
Seit Ende 2019 ist im Ostflügel, dem historisch neuesten Teil von Schloss Steinort, ein Informationspunkt für Touristen eingerichtet, der eine kleine Ausstellung zum Gebäude beherbergt und in dem einige junge Menschen arbeiten, die für Touristen Führungen durch den Bau machen. 2020 hat die herrschende Pandemie auch in Steinort die noch im März geschmiedeten ehrgeizigen Pläne etwas durchkreuzt. Doch mit dem Motto „Fenster“ für das diesjährige Festival gelang den Verantwortlichen eine interessante Mischung an Veranstaltungen vor Ort und virtuellen Angeboten. „Dieses Motto hatte und hat einen doppelten Sinn“, verrät Dr. Bettina Bouresh, die Vizevorsitzende der Lehndorff-Gesellschaft, die die neue Nutzung von Schloss Steinort vorantreibt, „wir haben mit kulturellen Veranstaltungen vor Ort die vielen Fenster von Schloss Steinort für Gäste geöffnet. Und wir öffnen virtuelle Fenster mit Beiträgen verschiedener Menschen zum Schloss, so dass man auch im Internet Eindrücke von hier sammeln kann.“ Gleichzeitig wurde auch ein Live-Stream eingerichtet, der vor und begleitend zum Festival aktuelle Informationen und Gespräche mit Gästen vor allem aus der Region anbot ... und einer Flucht durch das Fenster. Die dafür installierte Kamera diente unter anderem am 20. Juli zur Aufnahme des Erinnerns an den letzten Eigentümer von Schloss Steinort Heinrich von Lehndorff, das Attentat auf Adolf Hitler im Führerhauptquartier in der nahe gelegenen Wolfsschanze, an dem er beteiligt war, und das Ende des Zweiten Weltkriegs. Es fand am Gedenkstein für von Lehndorff vor dem Gebäude und im Hof hinter dem Ostflügel des Schlosses statt. Denn aus einem Fenster im ersten Stock dieses Flügels war von Lehndorff am Tag darauf gesprungen und zur damaligen Anlegestelle der Familie am Mauersee geflohen. „Dieses Fenster und diese Flucht sollten im Mittelpunkt einer Veranstaltung für Kinder am 20. Juli stehen – als erlebte Geschichte“, erklärt Dr. Bettina Bouresh, „aber wegen Corona mussten wir das leider absagen.“ Diese Werkstatt-Version der Veranstaltung muss noch bis ins nächste Jahr warten, die Dokumentation wurde aber filmisch erfasst.
SperrzonenlageDas Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 ist ein wichtiges Datum in der deutschen Geschichte und auch für Schloss Steinort. Seine damaligen Eigentümer Heinrich und Gottliebe von Lehndorff gehörten zur Gruppe des Attentats, Heinrich von Lehndorff verlor dadurch sein Leben. Durch seine Lage in der Sperrzone um das Führerhauptquartier war das Gebäude geradezu ideal für die Verschwörung. Auch das häufige Kommen und Gehen von Offizieren fiel nicht weiter auf. Doch günstig fand die Lage mit gerade einmal 17 Kilometern Entfernung auch der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop. Als das Führerhauptquartier eingerichtet wurde, quartierte er sich im Westflügel von Schloss Steinort ein, während die Familie im Ostflügel wohnte. Diese Situation zwang die Lehndorffs zu einem Doppelleben, das Antje Vollmer in einem Buch mit diesem Titel* dokumentiert hat.
Es gibt einige Ideen, was alles in Schloss Steinort kulturell, historisch, museal und touristisch geschehen könnte. Das Gebäude muss nur renoviert und nutzbar dafür gemacht werden, und das kostet Geld. Das Konzept der zukünftigen Nutzung hat den deutschen Bundestag so überzeugt, dass er für dieses Jahr eine halbe Million Euro zur Verfügung gestellt hat, die vor allem für die Sicherung des Gebäudes und der Entwässerung der Keller samt Drainage verwendet wurden. Auch eine Kläranlage sei entstanden und Kanalisationen angelegt worden, so Wojciech Wrzecionkowski. Gleichzeitig hat der Vorsitzende der Polnisch-Deutschen Stiftung zum Schutz von Kulturdenkmälern Anfang Dezember eine freudige Nachricht bekanntgegeben: „Der deutsche Bundestag hat uns
31eine weitere Zuwendung in Höhe von einer halben Million Euro für die Renovierung von Schloss Steinort zuerkannt.“ Es kann also weitergehen mit den nächsten Schritten zum Aufwecken von Schloss Steinort.
Uwe Hahnkamp
*) Antje Vollmer „Doppelleben: Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und Ribbentrop, Die andere Bibliothek, Berlin 2010
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